Die deutsche Autoindustrie in der Krise?
Gerald Balser, 27. Dezember 2014
Des Deutschen liebstes Kind, das Auto soll nach Angaben der Medien in der Krise stecken. An der Börse sinken die Werte für Autoaktien. Die deutschen Autohersteller stecken mitten im Transformationsprozess. Ein Dilemma, denn der Kunde ist verunsichert. Die Politik drängt zum Bau des E-Autos. Der Kunde hält sich aber mit dem Kauf zurück, denn das E-Auto ist sehr viel teurer als der Verbrenner. Außerdem ist die Lade-Infrastruktur unzureichend und das wenige, was der Kunde vorfindet, zu kompliziert. Es gibt noch keine Erfahrung über die Haltbarkeit der Batterie und über den Wiederverkaufspreis. Gute Voraus-setzungen, auf eine erneute staatliche Umweltprämie zu warten. Die Hersteller verdienen am E-Auto zu wenig. Die hohen Entwicklungskosten erwirtschaften immer noch die Verbrenner.
Der weltgrößte Automobilmarkt ist China. Die europäischen Hersteller haben sich den Markt mit ihren technisch überlegenen Autos untereinander aufgeteilt. Marktführer war VW. Dies war keine Überraschung, denn über die Verbrenner-Modelle der Chinesen hatte man sich auf den Automobilmessen in Europa amüsiert. Den Chinesen halfen auch ihre niedrigen Preise nicht. Mit dem E-Auto witterten die Chinesen ihre Chance. In China wuchsen die Hersteller von E-Autos wie die Pilze aus der Erde. Die Bedingungen zum Bau von E-Autos sind in China glänzend. Die chinesischen Hersteller orientierten sich am US-Hersteller Tesla in Kalifornien. Tesla hatte sich in kürzester Zeit vom unbeachteten Start-Up zum Marktführer für E-Autos entwickelt. Inzwischen hat VW in China seine Top 1-Postion an den chinesischen Hersteller von E-Autos BYD (Built Your Dreams) abgeben müssen. VW erlebt sogar in China einen fürchterlichen Einbruch und kämpft dort ums Überleben. Die Chinesen kaufen keine Verbrenner mehr und die E-Autos von VW sind nicht attraktiv genug.
Eigentlich schienen die Voraussetzungen von VW für eine schnelle und gelungene Transformation gar nicht schlecht zu sein. VW hatte als erster Hersteller in Deutschland seinen Widerstand aufgegeben und sich in die Entwicklung des E-Autos gestürzt. VW kündigte sogar das Ende des Verbrenners an und entwickelte in Windeseile für den so erfolgreichen Golf einen Nachfolger. Zurecht fürchtete man beim E-Auto die Abhängigkeit von asiatischen und amerikanischen Herstellern. Übereilt wurden die Verträge gekündigt und der Bau eigener Batterien in Salzgitter in Angriff genommen. Für die Entwicklung und den Bau einer eigenen Auto-Software wurde eigens ein Firma (CARIAD) mit Sitz in Wolfsburg gegründet. Die Idee war gut, die Umsetzung schlecht. Wegen Software-Fehler wurde die Einführung des neuen Golf verschoben, aber dennoch konnten Qualitätsmängel nicht verhindert werden. Dar gute Ruf von VW wurde beschädigt.
Selbst die Erfüllung all dieser Voraussetzungen werden VW nicht retten, wenn sich nicht etwas Grundlegendes bei der Modell-Politik ändert. Traditionell haben bei VW die Techniker das Sagen. Die wollen, die aus ihrer Sicht, besten Autos bauen, ein Marketing kostet nur Geld. Wenn weiterhin die Kundenwünsche bei VW nicht beachtet und nur die eigenen Vorstellungen umgesetzt werden, dann kann VW nur noch das Glück des Zufalls retten. Aber selbst all dies kann zu wenig sein. Bei den immens hohen Entwicklungskosten ist ein Hersteller allein nicht lebensfähig. BMW und Mercedes geben jeder für sich für Entwicklung sehr viel Geld aus. An eine zumindest enge Kooperation geht auf die Dauer kein Weg vorbei. Sogar eine Zusammenarbeit mit dem VW-Konzern könnte bei der Übermacht der Chinesen sehr bald notwendig werden.
Einen Kardinalfehler beging VW mit seinen neuen E-Autos. Hatte man übersehen, dass die Verbrenner-Modelle immer noch sehr gut verkauft werden? Golf, Tiguan und T-Roc sind die Spitzenreiter, nicht nur im VW-Konzern. VW hatte anscheinend den Ehrgeiz, mit der neuen Technik auch neue Wege zu gehen. VW verließ sein so erfolgreiches Design, um alle Vorteile des E-Konzepts auszunutzen. Das Ergebnis waren emotionslose Allerwelts-Modelle, technisch fehlerhaft und sehr teuer. Zu diesen nichtssagenden Modellen passten auch die neuen Namen: ID.3, ID.4. ID.5. Ohne Not war man dabei, seine so erfolgreichen Namen mit dem Verbrenner auslaufen zu lassen. Unglaublich! Schnelle Änderungen im Design und in der Technik konnten das Schlimmste verhindern. Gemessen an den Stückzahlen der Verbrenner, gehören die E-Autos von VW in die ungewohnte Kategorie Nischen-Modelle. Eine Katastrophe für einen Massenhersteller. „Never change a winning taeam!“ Diesen Satz hatte man in Wolfsburg vergessen.
Aus heutiger Sicht ist es nachvollziehbar, dass die deutschen Autohersteller vom E-Auto nicht begeistert waren. Der Standort Europa und insbesondere Deutschland sind nicht ideal für den Bau dieser Autos. Die notwendigen Rohstoffe und der technische Fortschritt, also die teuren Batterien und die moderne Software und Elektronik, kommen aus Asien und den USA. China hat zusätzlich den Vorteil billiger Arbeitskräfte und Energie. Dem chinesischen Staat reicht dies alles nicht aus, er subventioniert auch noch die Ausfuhr von E-Autos. Ist bei dieser Überlegenheit der chinesischen Hersteller unsere Automobilindustrie noch zu retten?
Die Behauptung, das E-Auto wäre nur ein Computer auf vier Rädern, stimmt so nicht. Wenn sich ein Auto sicher und komfortabel fahren lassen und ein Qualitätsprodukt sein soll, dann ist die Herstellung so einfach nicht, dann ist Erfahrung angesagt. Die deutschen Hersteller erfüllen diese Anforderungen hervorragend. Der Standort Deutschland empfiehlt sich leider nur für sehr teure, qualitativ hochwertige Modelle mit großen Margen, aber kleinen Stückzahlen. Die Ergebnisse der jüngsten Tarifverhandlungen bei VW weisen den Weg. Auch der mächtige VW-Betriebsrat hat verstanden: Billiger in der Produktion werden, oder verschwinden. VW-Vorstand und Gewerkschaft einigten sich auf einen Lohn- und Gehaltsstopp, keine betriebsbedingten Kündigungen (aber auch kein Ersatz bei Ausscheiden aus dem Betrieb) und keine Werksschließungen. Vorläufig! Dies wird zu wenig sein. Ohne Kündigungen und ohne Werksschließungen mit Verlagerung der Produktion ins Ausland wird es nicht gehen. Neu auf den Markt kommende Modelle haben keine Chance, in Deutschland gebaut zu werden.