Deutschland – Baustellenland
Gerald Balser, 18. Juni 2023
Freie Fahrt für frei Bürger! Diese alte Forderung der FDP klingt wie ein Hohn, wenn man, wie ich unlängst, von Gießen nach Leiden in Holland fährt. Die Sauerlandautobahn A45 ist eine einzige Baustelle mit einer Vollsperrung bei Lüdenscheid und einer überlasteten Umleitung. Die Alternative, vor der Ausfahrt Olpe auf die Autobahn A4 nach Köln abzubiegen und danach auf die A3 nach Oberhausen zu wechseln, ist zwar anzuraten, aber auch keine Rettung. Nun war ich an einem normalen Wochentag unterwegs. Ich möchte mir nicht ausmalen, was ich an einem Wachende in den Sommerferien erlebt hätte. Da hätte ich mir vielleicht ein anderes Ziel aussuchen sollen? Auch dies wäre keine Lösung, da die Autobahnen in ganz Deutschland so oder so ähnlich aussehen. Ist Deutschland in dieser Hinsicht ein spezieller Fall oder machen es unsere Nachbarn anders? Leider sind wir ein spezieller Fall. So eine Anhäufung von Baustelle mit den zwangsläufigen Staus und Geschwindigkeitsbeschränkungen gibt es nur bei uns. Und dies hat seine Gründe.
Autobahnen waren ursprünglich als kreuzungsfreien Schnellstraßen für das Auto gedacht. Diese Bezeichnung hatte aber nur so lange ihre Berechtigung, als der Lastverkehr vorzugsweise über die Schiene erfolgte. Mit der Zeit war die Deutsche Bahn leider überfordert und mehr und mehr fand der Transport von Gütern auf der Autobahn statt. Ganz schlimm wurde es, als Ökonomen glaubten, sich die teure Warenlagerung vor Ort sparen zu können und nur noch „just in time“ geliefert wurde. Das Lager wurde auf die Autobahn verlegt. Wenn man sich heute die Autobahn von oben betrachtet, dann rollt ein Lkw hinter dem anderen, ohne große Lücke, auf der rechten Spur. Der Autofahrer getraut sich nicht, diese Spur zu benutzen. Da die Lkws nicht alle gleich schnell fahren und der etwas schnellere Lkw unbedingt überholen will, kommt es häufig zu kilometerlangen Elefantenrennen. Wohl dem Autofahrer, der sich auf einer dreispurigen Autobahn befindet.
Leider neigt der Staat dazu, bei seinen Vorhaben mit dem vorhandenen Budget so viel wie nur möglich zu bauen. Er kalkuliert mit seinen Qualitätsansprüchen am unteren Rand, in der Hoffnung, dass er die Situation richtig eingeschätzt hat. Den schnell wachsenden Lkw-, aber auch Pkw-Verkehr, hatte er nicht vorhergesehen. Wo zwei Spuren ursprünglich als ausreichend erschienen, wären drei oder sogar vier Spuren richtig gewesen. Dass durch das hohe Verkehrsaufkommen die geplante Qualität der Straßen und Brücken nicht ausreichen würde, hatte der Staat auch nicht erwartet. Ein schnelles Handeln blieb leider aus, da die Umweltpolitik das Auto und die Autobahn verteufelte. Wo eine grundlegende Sanierung nötig gewesen wäre, wurde nur notdürftig ausgebessert und geflickt,
Der Staat lockte mit dem öffentlichen Verkehr und dem Fahrrad. Hatte aber vergessen, vorher die notwendige Infrastruktur zu bauen. Die Deutsche Bahn war keine Hilfe: überaltert, marode, unpünktlich und auf den Hauptstrecken das Schienennetz zu klein und die Waggons zu voll. Es wurden vor allem unrentable Nebenstrecken stillgelegt. Das Auto war nur in Ballungsgebieten und Großstädten überflüssig, nicht aber auf dem flachen Land. Die ökologische Alternative, das Elektro-Auto, ist zurzeit nur mit großzügigen Prämien zu verkaufen. Wegen der fehlenden Lade-Infrastruktur und dem Wirrwarr bei der Aufladung gibt es immer noch nicht den entscheidenden Durchbruch. Was wiederum den Zweifel an der Überlegenheit dieser Technologie befeuert. Das E-Bike, nicht die Apelle der Politik haben das Fahrrad zum Renner gemacht. Von den optimalen Zuständen in Holland sind wir aber noch meilenweit entfernt. Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht.
Nun müssen in aller Eile die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufgeholt werden, natürlich möglichst gleichzeitig. Und dementsprechend sieht es in Deutschland aus. Fortsetzen ließe sich diese Mängelliste mit der Stromversorgung, dem Ausbau der alternativen Energie und den notwendigen Trassen. Es scheitert aber nicht nur am Willen, sondern ganz handfest bei dem Mangel an Arbeitskräften und Material. Eine Energiewende kann nicht per Knopfdruck erzwungen werden. Es handelt sich um einen Prozess, der sich eher langsam als schnell vollzieht. Das Angebot kann eine plötzliche Verengung der Nachfrage nie ausgleichen. So ist es nun einmal in der Marktwirtschaft, selbst bei geringeren Kosten werden die Energie-Preise dann steigen. Dies alles erinnert mich an den Zauberlehrling, der die Kontrolle verliert.
Freie Fahrt für freie Bürger! Ein Traum, der ausgeträumt ist. Das Tempolimit auf unseren Straßen existiert eigentlich bereits, entweder durch Schilder oder durch das hohe Verkehrsaufkommen. Ich wäre froh, wenn ich durchgehend mit 130 km/h mein Ziel erreichen könnte. Die FDP hat nach meiner Meinung eine Chance vertan. Sie hätte der Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf unseren Autobahnen bei einer Gegenleistung der Verlängerung der Atomkraftwerke auf drei Jahre zustimmen sollen.