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Dipl. oec. Gerald Balser Gießen, 13. Februar 2024
Herrn CEO der Marke Volkswagen Pkw
Thomas Schäfer
VOLKSWAGEN AG
Postfach
38436 Wolfsburg
50. Geburtstag des VW Golf
Sehr geehrter Herr Schäfer,
zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag des VW Golf. Mit über 37 Millionen verkauften Fahrzeugen hat der VW Golf seinen legendären Vorgänger VW Käfer überholt und ist eines der meistverkauften Automodelle aller Zeiten. Das schönste Jubiläums-Geschenk macht sich der VW Golf selbst. In Deutschland ist er immer noch das Top-Modell Nr. 1 und zwar mit großem Abstand. Auch ich habe einen Grund, mich über diesen besonderen Anlass zu freuen, denn ich durfte zu diesem Erfolg einen kleinen Teil beigetragen.
Zunächst darf ich mich einmal vorstellen. In den Jahren 1971 bis 1975, die Zeit deckt sich fast genau mit der Ära Leiding, war ich Mitarbeiter im Volkswagenwerk in Wolfsburg. Nach einer zehnmonatigen internen „Volontärsausbildung“ arbeitete ich in der Abteilung „Zentrale Marketingplanung“ (Dr. Burmann) des Bereichs Zent-rales Marketing (Klaus Vacano) im Vorstandsbereich Vertrieb (Dr. Carl H. Hahn). Mit Prof. Hahn stand ich bis zu seinem Tode im vergangenen Jahr in ständiger Korrespondenz (Siehe Ende meines Buches!).
Für mich war die Zeit bei VW ereignisreich und spannend. VW schaute 1973 tief in den Abgrund. Die Verkaufszahlen des VW Käfers waren im Keller. VW hatte zu lange an dem erfolgreichen Konzept „luftgekühlter Heckmotor“ festgehalten und das moderne Konzept „wassergekühlter Frontmotor“ war noch nicht serienreif. Da konnte VW froh sein, eine Tochter namens „Audi“ zu besitzen, denn die hatte dieses Konzept bereits erfolgreich umgesetzt.
Der Paradigmenwechsel bei VW kostete nicht nur den Technikern, sondern auch den Kaufleuten, insbesondere im Marketing, Kraft und Zeit. Ich habe in meinem Leben nie mehr so hart und ausdauernd arbeiten müssen, wie damals bei VW. Dies wurde mir aber erst im Nachhinein bewusst, denn meine interessante Arbeit hatte mir viel Freude bereitet und ich hatte sehr viel Zeit für meine Arbeit. Ich war in Wolfsburg ein Single, auf den zuhause niemand wartete.
Zu meinen zahlreichen, verantwortungsvollen Marketing-Tätigkeiten gehörte auch die Erarbeitung von Namensvorschlägen – zusammen mit meinem Kollegen Friedrich-Wilhelm Klitzke – für die neuen Produkte: Scirocco, Golf und Polo. Über mein interessantes Leben bei VW in Wolfsburg und die Geschichte, wie die Modellnamen zustande kamen, habe ich ein Buch geschrieben, das ihnen in Kürze (3 x) zugestellt wird.
Auf VW News Room ist man unsicher, wie der Name Golf entstanden ist. Es geistern drei Versionen umher. Ich kenne die richtige Version, denn mein Kollege Klitzke und ich haben den Namen vorgeschlagen. Obwohl unter Zeitdruck leistete man sich den Luxus, das Coupé vor der Limousine auf den Markt zu bringen, weil man sich davon eine Übertragung des positiven Images auf die Limousine versprach.
Mit dem VW Passat war die Richtung Windnamen vorgegeben. Die Recherche nach geeigneten Namen gestaltete sich äußerst schwierig. Es gab damals kein Internet. Viele Namen waren für das Produkt Sportcoupé nicht geeignet, gute Namen bereits geschützt. Scirocco war der einzige verwendbare Name und wir hatten Glück. Wie sich im Nachhinein feststellte war der ein Volltreffer.
Danach war mit Windnamen Schluss. Was passt zu Wind? Wasser! Golf, der verkürzte Name des Golfstroms war die Lösung. Die Werbeagentur „Doyle Dane Bernbach“ präsentierte unaufgefordert eine Werbe-Aktion „Der neue Volkssport: Golf“. So war es eigentlich nicht gedacht. Die Aktion war allerdings so pfiffig gemacht und wäre für die Tonne zu schade gewesen.
Die andere Interpretation der Werbeagentur gab den Anstoß. Warum sollte man es sich bei der Namensgebung seines gesamten Portfolio so schwer machen und sich auf nur ein Thema einschränken. Wind und Wasser sollte das Thema für größere Modelle bleiben. Für kompakte Modelle boten sich Sportarten geradezu an. Wie bekannt kam nach dem Golf der Polo.
Mit Freude habe ich gelesen, dass Sie aus Marburg stammen. Das hat mich als Gießener besonders gefreut.
Mit freundlichen Grüßen von Gießen nach Wolfsburg
Ihr Gerald Balser
P.S.
Ich habe den Versand von 3 Exemplaren in Auftrag gegeben. Versehentlich gibt es eine identische Liefer- und Rechnungsadresse. Bitte beachten Sie diesen Fehler nicht! Die Buchsendung ist bereits bezahlt.
Auszug aus meinem Buch:
Abteilung Zentrale Marketingplanung
Passat
Scirocco und Golf
Das Sportcoupé hat sich zu einem eigenen Fahrzeugsegment gemau-sert. Das neue sportliche Fahrzeug sollte zeitlich vor der Limousine vorgestellt werden, um das positive Image des Sportcoupés auf den Käfer-Nachfolger zu übertragen. Die Richtung bei der Namensgebung war und durch den Namen „Passat“ bereits vorgegeben. Es mussten also wieder Windnamen sein. Schnell stellten Klitzke und ich fest, dass die meisten Windnamen entweder bereits rechtlich geschützt oder nicht geeignet waren. Die Ausbeute unserer Recherche war äußerst mager. Es blieb eigentlich nur ein einziger Name übrig, der in Italien gefürchtete heiße Wüstenwind aus Afrika: „Scirocco“. Wir hatten Glück. Alle nach der Einführung durchgeführten Verbraucherbefra-gungen kamen zu ein und demselben Ergebnis: der Name VW Scirocco war ein Volltreffer. Er passte hervorragend zu dem Produkt Automo-bil und insbesondere zu einem sportlichen Coupé.
Danach war mit Windnamen leider Schluss. Zu Wind passt Wasser. „Golf“ als verkürzte Bezeichnung des Golfstromes war die ursprüngli-che Idee für den Namen des wenig später angebotenen Käfer-Nachfolgers. „Spiegel Online“ irrt mit der Behauptung, ursprünglich hätte der Käfer-Nachfolger Scirocco und seine sportliche Variante Sci-rocco Coupé heißen sollen. Wir im Marketing waren uns einig, zu ei-nem eigenständigen Fahrzeug gehört auch ein eigenständiger Modell-name. Die Werbeagentur „Doyle Dane Bernbach“ brachte die Na-mensgebung in eine andere Richtung mit der Werbeaktion „Der neue Volkssport: Golf“. Golf als Sportart, daran hatten wir eigentlich nicht gedacht. Aber die Werbeaktion war einfach zu gut, um sie abzu-schmettern. Wir fingen an umzudenken. Nun war der Weg frei für Namen von Sportarten. Selbst die größten Optimisten bei VW konnten nicht glauben, dass es möglich wäre, die vom Käfer gewohnten hohen Verkaufszahlen mit nur einem Nachfolger zu erreichen. So standen wir Ende 1973 in einer großen leeren Halle der FE (Forschung und Ent-wicklung) und begutachteten zwei auf Hochglanz polierte Prototypen: der von Giugiaro gestylte künftige VW Golf und das Konkurrenzpro-dukt der Tochterfirma, der Audi 50. Der Golf war etwas größer, der Audi 50 dagegen wirkte flotter. Wir waren damals absolut nicht si-cher, welches der beiden Fahrzeuge das erfolgreichere sein werde. Da aber zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, dass beide Fahrzeuge in Wolfsburg vom Band laufen würden, überlegten wir, ob nicht beide unter der Marke VW als Nachfolger für den Käfer antreten sollten. Audi war verständlicherweise von dieser Idee nicht begeistert. Die Entscheidung wurde zunächst vertagt und man beschloss, erst einmal den Erfolg vom neuen VW Golf abzuwarten.
Polo
Klaus Vacano fand auf mein Anraten schließlich einen Kompromiss. Ermutigt durch den Verkaufserfolg VW Passat, schlug er vor, das Baukastenprinzip erneut zu nutzen und den Audi 50, diesmal sogar gänzlich unverändert, als zukünftigen VW nicht anstatt, sondern zu-sätzlich anzubieten. Dieser kühne Vorschlag traf beim Bereich Ent-wicklung erneut auf großen Widerstand. Die VW-Techniker hatten die Faxen dicke. Einen unveränderten Audi als VW anzubieten, das war ihnen zu viel. Die VW-Kunden würden dieses „Duplikat“ nie-mals annehmen. Denn tatsächlich sollten lediglich im Kühlergrill die vier Audi-Ringe durch den VW-Lollipop ausgetauscht werden. Wie bekannt, wurde dann ein halbes Jahr nach Einführung des Audi 50 aus diesem der erste VW Polo. Von meinem Bereichsleiter Klaus Vacano war ich sehr beeindruckt. Er war ein Mann mit einer außer-gewöhnlich schnellen und hervorragenden Auffassungsgabe. Vor Be-sprechungen über Themen meine Abteilung betreffend hatte ich ihn schriftlich zu „briefen“. Das funktionierte zeitlich nicht immer. So kam es vor, dass ich ihn erst auf dem Weg zur Besprechung infor-mieren konnte. Er trug dann die Vorschläge und Argumente so über-zeugend und geschliffen formuliert vor, als wären es seine eigenen.
Vor der offiziellen Vorstellung des neuen Kleinwagens hatte der Ver-trieb seine Händlerorganisation weltweit aufgefordert, sich an der Namensgebung zu beteiligen. Ein von dem Generalimporteur in Ita-lien vorgeschlagener Name „Pony“ lag sehr gut im Rennen. Die letzte Entscheidung über den künftigen Namen eines neuen Fahrzeuges lag bei einem Gremium aus Vorstand und Aufsichtsrat, das im Pent-haus des VW-Hochhauses tagte. Über solch bevorstehende Termine wurde meine Abteilung allerdings nicht informiert, und so traf es mich bei der Entscheidung zum VW Polo aus heiterem Himmel. Ich musste schnellstmöglich mit dem Fahrstuhl in den letzten Stock des Hochhauses fahren und meine kommentierten Namensvorschläge bei der Sekretärin des Vorstandsvorsitzenden Dr. Leiding abgeben. In meiner Stellungnahme gegenüber dem Gremium riet ich von dem Namen Pony ab. Der Name passte zwar vordergründig zu einem kleinen Auto, aber nicht zu dem zu erwartenden hohen Preis des Kleinwagens. Entscheidend für die Höhe des Preises eines Autos ist nicht in erster Linie die Größe, sondern die eingebaute Technik. Das Gremium folgte meiner Argumentation, akzeptierte die Verwendung von Sportnamen für kompakte Fahrzeuge und entschied sich für meinen Namensvorschlag „VW Polo“. Da dieser diesmal nicht im Team, sondern von mir allein erarbeitet wurde, kann ich behaupten, der Namensgeber des VW Polo zu sein. Die Namensgebung war eine sehr ehrenvolle und auch spektakuläre Aufgabe, aber nicht meine Hauptaufgabe. Wenn ich mir im Rückblick anschaue, hatte allein ich eine Aufgabenmenge zu erfüllen, die heute von ganzen Stäben an Mitarbeitern erledigt werden. Aber nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ wurde ich gefordert. Zu meinen regelmäßigen Aufga-ben gehörten:
• Die Entwicklung der Marketing-Strategie für die Konzern-marken und für bestehende bzw. noch einzuführende neue Produkte, Leistungen und Produktsonderserien.
• Die Erarbeitung von Vorschlägen zu vertriebspolitischen Fra-gen und für die Positionierung neuer Produkte im Markt und innerhalb des Konzernprogramms.
• Die Konzipierung von Zielvorgaben für Maßnahmen im Rah-men der jährlichen Vertriebspläne bzw. Maßnahmen-Ziele für die jährlichen Vertriebspläne.
• Die Beschreibung der Grundlagen der mittel- und langfristi-gen Produktpolitik bzw. langfristigen Marketingpläne.
• Die Koordination und Abstimmung mit den Fachabteilungen der VW AG und ihrer Tochtergesellschaften.
Diese mir übergebenen Aufgaben machten es nötig, auf sehr hoher Ebene bei VW und auch mit den Töchtern zu agieren. Ich hatte bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt den seltenen Einblick bei der Entwick-lung neuer Modelle und Zutritt zum Bereich der Forschung und Ent-wicklung. Die FE waren bei VW die heiligen Hallen. Ein separat abge-riegelter, geheimer Bereich innerhalb des bereits streng bewachten Werksgeländes. Der Zutritt wurde nur mit einem speziellen Ausweis gewährt. Dort habe ich Teile bzw. die Prototypen der neuen VW-Modelle, z. T. auch der Audi-Modelle, begutachtet und bewertet. Zu mir in mein Büro kamen die Vertreter von Audi und der ausländi-schen VW-Werke, um die jährliche Marketingstrategie abzustimmen. Mir vorgelegt wurden auch die geplanten Werbekampanien unserer Werbeagenturen. Ich hatte das volle Vertrauen meines neuen Abtei-lungsleiters Dr. Gerd Burmann und er gab mir eine große Bewegungs-freiheit. Er schätzte meine Arbeit und auch ich schätzte ihn als eine hervorragende Führungskraft.
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Inhaber und Autor
Dipl. Oec. GERALD BALSER
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